Hallo liebe Leser und Freunde.
Entschuldigt bitte, daß dieser letzte newsletter von unserer Ama Dablam Expedition so lange auf sich warten ließ, aber mir fällt es nicht leicht diesen zu schreiben.
Ich ringe mit mir, weil ich einerseits unendlich glücklich bin, daß wir beide wieder heil von dem Berg runtergekommen sind, daß wir davor eine wahnsinnig gute Zeit hatten und eine für uns geniale Kletterei in der Nordwand hatten und dann die bittere und traurige Kehrseite dieses Abenteuers, daß der Pilot Sabin und sein Assistent Purna bei dem Rettungsflug, den wir geordert hatten, ums Leben gekommen sind.
Deshalb möchte ich auch vorweg zwei Dinge schreiben:
Dieser Absturz und die Folgen sind für die beiden Familien von Sabin und Purna ein solch schwerer und schlimmer Moment und Beginn einer traurigen und schweren Zeit. Und es stellt alles an Erzählungen von unserer Seite her über die Kletterei, über unser Abenteuer in den Schatten, ja in ein Licht, daß es nichtig und absolut unnötig macht. Diese Tatsache ist mir stehst bewusst und sollte nie vergessen werden, auch wenn ich im Folgenden davon berichte.
Und zweitens stellt unsere Besteigung der Nordwand keine „Besteigung“ mehr da, durch die Tatsache, daß wir nicht mehr aus eigener Kraft runter gekommen sind. Für Kazuya und mich ist das ein ganz eindeutiges Kriterium, um eine Neutour oder eine Besteigung als erfolgreich oder als gelungen und als akzeptierbar zu bewerten!
Jetzt werden sich viele fragen, warum ich dann hier schreibe? Ich schreibe, weil ich Euch eine Erklärung und Erzählung schuldig bin, was passiert ist und wie es zu diesem Unglück kam. Ich möchte betonen, daß ich dies hier nicht schreibe, um mich selber zu promoten oder den Moment der Tragödie als Mittel zu mehr Öffentlichkeit zu benützten. Macht Euch einfach selber ein Bild und einen Eindruck.
Also werde ich im folgenden chronologisch die Tage in der Wand, den Tag des Unglücks und die Tage danach beschreiben.
03. November
Wir waren von Chukhung zu unserem ABC Stein gestartet. Als wir das letzte Mal hier her sind, sind wir ja am nächsten morgen wegen einsetzendem Schneefall wieder unverrichteter Dinge zurück gekehrt. Jetzt waren wir angespannt und glücklich zugleich, daß wir wieder Richtung Berg und Nordwand unterwegs waren. Diesmal schaute das Wetter auch perfekt aus, keine Wolken, kein starker Wind. Am späten Nachmittag erreichten wir den Felsen kurz unterhalb des Gletschers, auf dem wir unser kleines Zelt aufstellten.
04. November
Früh morgens mit dem ersten Licht brachen wir auf. Bis zum Einstieg kannten wir den Weg von der Erkundung zwei Wochen vorher. Unser Materialdepot mit der gesamten Kletterausrüstung wartete noch genauso wie wir es zurückgelassen hatten auf uns. Wir stiegen eine steile Firn und Eisrinne ein gutes Stück links des Serras hoch. Von Beginn an war es steile Kletterei, immer wieder 80 bis 85 Grad steile Seillängen. Die Verhältnisse waren aber zum hochklettern nicht schlecht. Harter Firn oder dünne Eisauflagen ließen an diesem Tag ein zügiges hochklettern zu. Gesichert haben wir am Stand meist über die Eisgeräte und zusätzlich ein Camelot, eine Eisschraube oder ein Firnender. Doch gerade die Eisschrauben machten uns wahnsinnig, weil es immer nach einem guten Placement aussah, beim reindrehen dann aber ruck zuck hohl ging oder auf den Felsen darunter aufsetzte. Auch der Fels war eher schwer für gute Camelots oder Keile zu haben.
Im laufe des Nachmittags fingen wir an einen Platz für die Nacht zu suchen. Doch diese Suche sollte sich als erfolglos herausstellen. Immer wieder sah es so aus als ob oberhalb von uns ein Platz kam, der etwas Flacher wie 60 Grad war. Doch dort angekommen: Fehlanzeige! Also hackten wir mit einbrechender Dunkelheit irgendwo eine 50cm breite und 1,5 m lange Plattform, die mehr wie ein Fenstersims anmutete, heraus. Dort hängten wir uns, mit dem Zelt als Biwaksack, die nacht über hin.
05. November:
Wie gut es doch tat, endlich wieder stehen zu können. Die Nacht hatten wir hinter uns gebracht und selbst ein wenig Schlaf war möglich, weil wir einfach so erschöpft vom Vortag waren. Weiter ging es an diesem Tag über die sicher schwierigste Stelle in der Wand. Diese Seillängen hatten wir gemeinsam mit der Tour von Furlan und Humar aus dem Jahre 1996. Für die Schlüsselseillänge brauchten wir lange, aber gar nicht so sehr wegen der eigentlich technischen Schwierigkeit, sondern weil sie absolut schwer zum absichern war. Echt ätzend! Danach legte sich die Wand ein wenig zurück für den Rest des Tages. Und auf 6358m hackten wir wieder unsere Plattform heraus und machten uns Bettfertig. Diesmal haben wir die Zeltgestänge mitbenützt. Auch wenn das Zelt nur zur Hälfte auf der Plattform Platz hatte, hatten wir so wenigstens nicht immer den Zeltstoff im Gesicht.
06. November:
Der Morgen war gigantisch, wir konnten schon das ganze Kumpf von oben sehen, in der Nacht sah man die Lichter von Kumjung bis Lobuche!
Die ersten Längen waren Quergänge auf teilweise recht fragilen Eispanzern auf Fels. Das gemeine ist, man meint immer, jetzt noch diese Länge und dann wird es einfacher…doch das war nie so! Nachdem wir hier oben weit nach links rausgequert waren, entdeckten wir endlich einen möglichen Weg hoch zum Nordgrat. Mit drei weiteren Seillängen erreichten wir diesen dann auch und nach vier Tagen hatten wir endlich mal wieder Sonne! Ich kann Euch sagen: das ist ein wunderbares Gefühl, so viel Wärme auf einmal! Und hier dachten wir nun, wir hatten es geschafft. Der Grat sollte doch wohl in einem kletterbaren Zustand sein, nachdem die Nordwand, die nie Sonne, die nie Wind abbekommt so gut von den Verhältnissen war! Doch dies sollte unser größter Fehler werden. Schnell merkten wir, daß hier die Schneebeschaffenheit gänzlich anders war und nicht unseren Erwartungen entsprach. Auf der Ost Seite wussten wir, daß wir mit Lawinen rechnen mussten, aber auf der West Seite, die dem Wind ausgesetzt ist, müssten wir doch begehbare Verhältnisse haben! Doch hier war ein ganz grobkörniger, sogenannter „sugar snow“! Selbst beim zehnten Hintreten sackte man wieder bis zur Hüfte ein. Und sobald es das erste mal ein wenig steiler wurde sind wir nicht mehr weiter gekommen. Wir haben auch probiert mit zwei Firnankern zu klettern statt Eisgeräte, aber dies half auch nichts. Weiter unten sind wir so noch gut vorwärts, bzw. höher gekommen. Ich probierte es dann auf der Ostseite des Grates, doch hier war die Lawinengefahr zu groß. Gleich auf den ersten 30m ging ich mit einem Schneebrett 15m Richtung Nordostwand ab, Kazuya hielt mich.
Uns wurde schlagartig bewusst, daß, wenn wir nicht wie geplant über den Gipfel und den Normalweg auf der anderen Seite runterkamen, wie sollten wir hier wieder heil runterkommen?
Als erste Option probierten wir über den Nordgrat abzusteigen. Aber auf ca 6330m kamen wir über einen großen, überhängenden Serac nicht weiter, außerdem sahen wir den gesamten Grat hinunter und bei dieser Länge war die Chance sehr groß. daß, wenn wir überhaupt weiter voran kommen sollten, wir beide irgendwann mal auf der selben, falschen Seite standen und entweder Richtung Nordwand oder Richtung Nordostwand stürzten.
Also saßen wir in einer verdammten Falle. Die letzte Möglichkeit, über unsere Aufstiegsroute abzuseilen war sehr heikel, vielleicht gar unmöglich. Unsere Ausrüstung bestand aus 5 Felshaken, 5 Camelots, 4 Keilen, 6 Eisschrauben und 2 Firnankern, dazu 2 Stränge 50m Zwillingsseil. Leider war gutes und dickes Eis ziemlich rar und wir rechneten uns aus, daß evtl. 5 x Abseilstellen über s.g. Eissanduhren möglich gewesen wäre. Den Rest mussten wir dann Rückwärts abklettern, Auch Felshaken wären schnell verbraucht gewesen. Und die Wand hatte eine reine Wandhöhe von ca. 1200m, wobei wir viele Quergänge drinnen hatten. Ausserdem müssten wir weitere 3 Tage ohne Sonne überstehen, und wir und auch unsere Zehen und Finger waren nicht mehr ganz frisch.
Also entschlossen wir uns für die Anfrage auf eine Rettung per Helikopter. Wir wussten, daß es eine blamable Lage war, in welche man als Bergsteiger nie kommen sollte und trotzdem hatten wir es geschafft. Wir konnten uns ohne fremder Hilfe hier nicht mehr heil vom Berg bringen! Aber wir hingen beide mehr an unserem Leben und unseren Zehen, als daß wir als Helden im Abstieg drauf gehen wollten.
Die Piloten sagten uns zu und wir sollten am nächsten Morgen gerettet werden.
07. November:
Wir hatten ausgemacht, daß einer nach dem anderen gerettet werden sollte. Also der Helikopter erst einen aufnahm, nach Chukhung flog und dann den zweiten. Wir losten das mit „Stein, Schere und Papier“ aus Ich gewann 2:1 und somit war ich der erste, der gerettet werden sollte.
Um ca. 8 Uhr kam der Helikopter und meine Rettung war, gefühlt für mich zu mindestens, eine sehr sichere. Der Helikopter landete mit den Kufen im 90 Grad Winkel zum 1m breiten Grat, öffnete die Tür und winkte mich hinein. Ohne große Mühe hob er ab und flog mich direkt nach Chukhung.
Von dort sah ich den zweiten Anflug, welcher Kazuya holen sollte.
Kazuya wartete oben und als der Helikopter den zweiten Anflug machte und Kazuya schon einsteigen wollte, bewegte der Helikopter sich ganz langsam auf Kazuya zu. Somit konnte er nicht einsteigen, weil der Helikopter quasi überhängend für ihn wurde. Er duckte sich, weil die Kufe sonst in sein Gesicht gestoßen wäre. Jetzt war der Helikopter schon halb über seinen Kopf, es machte einen lauten Schlag und der Helikopter stürzte über den Kopf von Kazuya in Richtung Nordost Wand ab. 1000m tief geht es hier fast senkrecht runter, die Crew hatte keine Chance dies zu überleben. Wie durch ein Wunder blieb Kazuya unverletzt oben am Grat zurück. Der Rotor war an den Grat oberhalb von unserem Aufnahmepunkt gestoßen!
Ich konnte von unten nicht genau erkennen was passiert war, war aber Verzweifelt, weil ich wusste, etwas war schief gegangen. Und wenn der Helikopter dort oben abgestürzt war, konnte ich mir nicht vorstellen, daß Kazuya nicht mitgerissen oder vielleicht schon im Helikopter gewesen ist. Es waren schreckliche Minuten, bis nach ca. 30 Minuten geklärt war, daß der Helikopter abgestürzt war und Kazuya noch oben und gesund war.
Doch nun stellte sich mir die nächste schwere Frage: wie sollten wir ihn dort runter bekommen. Zuerst sagten alle Nepalesischen Helikopter ab, was ich gut verstehen konnte. Auf der anderen Seite konnte ich aber nicht tatenlos zusehen und warten wie Kazuya dort oben stirbt. Aber keine Möglichkeit kam mir in den Sinn ihn in ausreichend kurzer Zeit zu erreichen und wie ihn dann herunterbekommen? Ich war verzweifelt, daß kann ich Euch sagen!
08. November:
Früh morgens kam plötzlich und ohne daß wir es wussten ein zweiter Helikopter von Fishtail Air. Sie hatten ihn geschickt um Kazuya zu retten. Wir hatten noch probiert über die Japanische Botschaft und das Militär einen Helikopter zu bekommen, doch das Militär lehnte ab. Und jetzt flog der beste Freund des verunglückten Piloten Sabin vom Vortag den zweiten Helikopter. Dies ist ohne Worte und so unendlich hoch Fishtail Air und ihrem gesamten Personal anzurechnen! Und er schaffte es tatsächlich, beim 7. Anlauf Kazuya zu retten. Wegen fast leeren Tanks flogen sie direkt nach Lukla. Also machte ich mich noch am selben Tag auf in seine Richtung. Und zwei Tage später waren wir wieder als Team zusammen.
In Kathmandu erwartete uns eine schwierige Zeit. Wir mussten verschiedenen Behörden und einem Untersuchungsausschuß Interviews geben und Fragen beantworten, allen Leuten die Geschichte erzählen und dann wollten wir natürlich die beiden Familien von Sabin und Purna besuchen. Dies war sicher das Schwierigste und Traurigste. Und doch sind wir froh, es gemacht zu haben und nun einen Kontakt zu den Familien zu haben, welche ihre beiden Liebsten verloren haben.
Ich wünschte mir, man könnte die Zeit zurückdrehen und Sabin und Purna wieder lebendig machen. Doch das geht nicht und wie die Familien mir versichert haben, die Hindus glauben fest daran, daß es den beiden gut geht. Für mich ein schwacher Trost und ein großer für die Familien.
Das war unsere Geschichte und was passiert ist. Ich möchte mich unendlich bei Fishtail Air und ihren Leuten bedanken, bei den Familien von Sabin und Purna, die uns ohne Groll und mit Freundlichkeit empfangen und aufgenommen haben, bei Carine und meiner Familie, die viel Ängste haben ausstehen müssen.
Dann bei Thamserku und Amical Alpin, die uns beide in schwierigen Frage und mit super Logistik geholfen haben und bei unseren Sponsoren.
Und nicht zuletzt bei all den Lesern und all den vielen Freunden, die mir soviel Emails und Nachrichten geschrieben haben und mir so sehr geholfen haben!
Danke!
David.